Eine Reise durch das große Banat
Eine Studienreise auf den Spuren des hl. Gerhard
Eine Gruppe von knapp 20 Leuten unternahm in diesem Jahr eine spannende und interessante Reise: auf den Spuren des hl. Gerhard, des ersten Banater Bischofs, der als Benediktiner auf Umwegen von Venedig in das mittelalterliche Tschanad gekommen ist. Er sagte mal als Lehrer des ungarischen Prinzen Emmerich (ungarisch Szent Imre), dass ein Land mit nur einer Sprache und Kultur ein armes Land sei. Somit könnte man schlussfolgernd sagen: das Banat ist eines der reichsten Länder, da hier das Evangelium auch heute noch in neun Sprachen verkündigt wird. Und damit haben wir schon unsere heutigen Ziele und Wünsche erreicht: eine gegenseitige Annäherung der Menschen entlang der durch die beiden letzten Weltkriege entstandenen politischen Grenzen. Dieser kulturelle Reichtum diesseits und jenseits der rumänisch-serbisch-ungarischen Grenze ist heute noch nicht von allen Landsleuten zu Kenntnis genommen worden und die Politik hat in diesem Bereich viel zu lange geschlafen. Umso wichtiger war es für diese kleine Gruppe, diesen „südosteuropäischen Kulturraum Banat“ mal näher kennen zu lernen.
Bei den Salvatorianern in Temeswar
Dass das Kloster der Salvatorianer in Temeswar die erste Anlaufstelle für die Reisegruppe war, ist nicht von ungefähr: hier ist eine wichtige Schaltstelle für kirchliche Gruppen aus ganz Europa, die dieses Land besuchen. Die Gastfreundschaft der Salvatorianer ist beispielhaft und man kann sich gleich mitten in einer alten aber stets sich immer wieder erneuernden Diözese fühlen. Ob jung oder alt, ob katholisch oder evangelisch, ob am Glauben zweifelnder oder sich als bekennender katholischer Christ haltender Mensch, hier findet man die nötige Ruhe um eine solche Reise beginnen zu können.
Die Gerhardskirche in Werschetz
Gleich am nächsten Tag – es war ein strahlender Freitagmorgen – ging die Reise mit einem Kleinbus nach Werschetz, ins serbische Banat. Die rumänisch-serbische Grenze hat man als Todesgrenze aus der Ceausescu-Zeit bis 1989 in Erinnerung, hier bei Stamora-Morawitza war das Tor in die Freiheit, also in das damalige Jugoslawien. Nur wenigen Banater Landsleuten war diese Reise damals gegönnt und jeder sehnte sich daran, das Land recht bald verlassen zu können. Auch heute noch sieht man hier in Richtung Grenze, dass nicht alles ist wie es sein könnte: aufgegebene Lagerräume, vernachlässigte Felder, aufgegebene Tankstellen, Ruinen und, was einem besonders auffällt, kaum Personenverkehr am Grenzübergang. Und nach wenigen Kilometern sieht man schon das Wahrzeichen von Werschetz: die Kula am Berg und die beiden neugotischen Türme der Gerhardskirche. Die Reisegruppe wurde in der Kirche von Pfarrer Mihalj Eresch empfangen, der uns gemeinsam mit Tamas Fodor, die Geschichte der Kirche erklärt hat.
Genau vor 150 Jahren wurde dieses Gotteshaus als damals größte Kirche der Tschanader (Banater) Diözese geweiht. Auch heute noch kann man die schmucke Inneneinrichtung, meist von südtiroler Bildhauern und Altarbauern stammend, bewundern (siehe Bericht über diese Kirche im GERHARDSFORUM, 2013/8). Das Begleitheft für diese Reise wurde von Pfarrer Egmont Franz Topits, Visitator der Donauschwaben, erstellt, und war auf der ganzen Reise eine wahre Stütze als Gebet- und Gesangbuch wie auch als Reiseführer.
Bei den Seemayers
Tamas Fodor, Leiter der Sammlung Felix Millecker der städtischen Bibliothek, machte der Gruppe eine Führung durch dieses Schmuckstück an Banater Kultur und Schrifttum. Man konnte nicht nur die Sammlung des Werschetzer Gebirgsboten bestaunen, sondern auch alte Drucke und wertvolle antiquarische Bücher von größtem Wert. Diese Bibliothek ist eine primäre Anlaufstelle für jeden Banat-Forscher und Historiker. Und der junge Bibliothekar Tamas Fodor ist selbst der Inbegriff Banater Kulturidentität, wobei er sowohl die serbische wie auch die ungarisch und deutsche Sprache fließend beherrscht. Und dabei geht es nicht nur um Sprachen sondern um ganze Kulturen. Und dies konnte die Reisegruppe durch einen Besuch bei seinen Großeltern feststellen: der Großvater, Karl Seemeyer, hat uns in der guten Stube bei einem frisch gebackenen Kuchen und kühlen Getränken empfangen, was bei der sommerlichen Hitze wohltuend war. Der alte Wiener Flügel sagte alles aus, was man schon über die Werschetzer gehört hat: in der Stadt soll es um 1900 herum mehr Klaviere als Häuser gegeben haben und die Musik stand in hohen Ehren. Und Herr Seemayer erzählte uns von der guten alten Zeit, von seiner Tätigkeit als Musikant und von der Zeit, als es noch eine große deutsche Gemeinschaft in Werschetz gab. Doch der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen hat dieser Gemeinschaft ein Ende bereitet. Eine im Laufe von Jahrhunderten gewachsene Kultur hat damit aufgehört zu existieren. Was davon noch übrig geblieben ist, kann aber in der städtischen Bibliothek und in der Gerhardskirche kennen lernen.
Die Kreuzkapelle
Und wer die Stadt mit ihren alten Straßen und sozialistischen Hochhäusern sehen möchte, sollte auf den „Berg“ steigen, in unmittelbarer Nähe der Kirche bereits beginnend, von wo aus man einen einmaligen Blick in die Banater Landschaft werfen kann. Hier steht auch die Kreuzkapelle, ein besonderes Juwel, das erst vor kurzem renoviert wurde. Der franziskanische Kreuzweg lädt zum Gebet ein und die die alten Treppen vor der Kirche sprechen von selbst. Was man von diesem Berg aus noch sehen kann, sind die vielen Weinberge, deren Rebensaft wir am Abend kennenlernen konnten. Doch davor ging es in das Konzert, das in der Gerhardskirche stattgefunden hat und das sehr gut besucht war. Dr. Franz Metz als Organist und Wilfried Michl, Bariton, boten ein buntes Programm mit Werken Banater Komponisten. Darunter waren auch Namen jener Kirchenmusiker, die in Werschetz und im benachbarten Ort Weisskirchen wirkten, wie Eduard August Müller-Molnar, Vincens Maschek, Josef Weikert oder Stephan Ochaba. Das Konzert wurde vom serbischen Fernsehen übertragen und aufgezeichnet und der Erlös war für die Renovierung der Wegenstein-Orgel dieser Kirche vorgesehen. Dr. Zoran Maksimovic, der Präses des neu gegründeten Vereins der Werschetzer Orgelfreunde ist seit einiger Zeit bemüht, regelmäßig Orgelkonzerte in der Gerhardskirche zu veranstalten und auch für eine baldige Renovierung dieser Orgel zu sorgen. Somit wird diese Kirche bald ein wichtiges Zentrum in der leider zu unrecht fast vergessenen Banater Orgellandschaft.
Andacht in der St. Annakirche
Ein weiterer Höhepunkt der Reise war der Besuch der Kleinstadt Weisskirchen, wo die Reisegruppe an der St. Annakirche von Pfarrer Király begrüßet wurde, von der Kirchenmusikerin Edith Fischer und dem Historiker Zivan Istvanic. Mit einer beispielhaften Gastfreundschaft wurden die deutschen Gäste empfangen und Pfarrer Walter Sinn von der evangelischen Gemeinde Semlak und zuständig für die evangelischen Christen des Banats hielt eine Andacht. Trotzdem die Zeit an der Kirche nicht spurlos vorbeigegangen ist, kann man auch heute noch die prächtige und schmucke Inneneinrichtung bewundern. Hier werden heute die Gottesdienste meist in serbisch-kroatischer Sprache gehalten, aber es erklingen auch heute noch deutsche und ungarische Kirchenlieder. Der Besuch des alten katholischen Friedhofs hinterließ eine wehmütige Stimmung: die meisten Gräber sind von hohem Gras und Unkraut überwuchert, viele sind umgestürzt und kaum welche Gräber noch gepflegt. Fast gleich ist auch das Schicksal des benachbarten jüdischen Friedhofs und ähnlich war die Stimmung nach dem Besuch der evangelischen Kirche der Stadt.
Ökumenische Kontakte
Dass Weisskirchen schon immer auch ein wichtiges serbisches und rumänisches geistliches Zentrum hatte, konnte durch den Besuch der serbisch-orthodoxen und rumänisch-orthodoxen Kirchen festgestellt werden. Nicht zu vergessen sei dabei ebenso die russisch-orthodoxe Kirche gleich neben der katholischen St. Annakirche. Auch durch den Besuch des städtischen Archivs und des Museums wurde uns klar, dass hier schon immer Kultur und Geschichte großgeschrieben wurde. Zivan Istvanic und die Leiterin des städtischen Archivs haben die Reisegruppe herzlichst empfangen und auch einige Publikationen zur Geschichte der Stadt vorgestellt.
Von Schag nach Billed
Der Sonntag war wieder dem heutigen rumänischen Teil des Banats gewidmet. Die Reise ging zuerst zur Gerhardskirche der Gemeinde Schag an der Temesch, wo nicht nur die Altarbilder des ehemaligen Kantorlehrers Josef Schweininger bewundert werden konnten. Nicht fehlen durfte auf dieser Studienreise ein Mittagessen beim Deutschen Forum in Billed. Wie aus einem ehemaligen Stall aus dem Jahre 1935 ein schmucker Festsaal entstehen konnte, ist der Familie Csonti zu verdanken, die aus diesem Bauernhaus ein Vorzeigeobjekt erster Größe verwirklichen konnten. Doch vor dem Mittagessen ging es in die katholische Pfarrkirche, wo wir von Pfarrer Bonaventura Dumea empfangen wurden. Gleichzeitig befanden sich einige Vertreter von rumänischen Bauernverbänden in ihren bunten Trachten in der Kirche. Somit wurde diese Begegnung zwischen rumänischen und deutschen Christen zu einem Kulturaustausch genützt: es erklangen rumänisch-orthodoxe und deutsche Kirchenlieder, ein Mitglied unserer Reisegruppe las Gedichte von Nikolaus Lenau vor, man tauschte Geschenke aus und man erlebte miteinander einige freundschaftliche Minuten.
In Tschanad und Großsanktnikolaus
Man könnte sagen, dass wir danach am Ziel unserer Studienreise angelangt sind: in der katholischen Kirche von Tschanad standen und sangen wir vor dem alten steinernen Sarkophag des hl. Gerhard. Wir mussten dabei feststellen: das Gerhardslied von Hans Weisz mit dem Text von Dr. Franz Kräuter aus dem Jahre 1946 hat auch heute noch sein Gültigkeit. Abgeschlossen wurde dieser Sonntag mit einem Orgelkonzert in der katholischen Kirche von Großsanktnikolaus, wo wir von Pfarrer Hans Ghinari empfangen wurden. Dieser führte uns auch in die neu renovierte Krypta unter dem Altarraum, wo sich die sterblichen Überreste der Grafenfamilie Nako befinden, die Stifter dieser Kirche. Auch hier erklangen im Konzert Werke Banater Komponisten, die teilweise an der Orgel und am Harmonium begleitet werden mussten. Gleichzeitig konnte man das neue Nako-Denkmal vor der Kirche bestaunen, den neuen Brunnen vor der Kirche wie auch die gelungene Außenrenovierung der Kirche. Somit hat diese Kleinstadt an der Aranka weitere touristische Anziehungspunkte erhalten, wobei das Nako-Kastell noch immer einen wichtigen Platz einnimmt. Hier wurde die Béla-Bartók-Ausstellung besichtigt, der modernisierte Konzertsaal mit dem neuen Konzertflügel und auch der geschichtliche Teil dieses Kastells. Mit Herzlichkeit hat uns Gheorghe Mândran, der Kulturreferent der Stadt, all diese Sehenswürdigkeiten vorgestellt, die bei jedem Banat-Besuch nicht fehlen dürften.
Gäste des Bischofs
Der letzte Höhepunkt der Studienreise war der Empfang am nächsten Tag durch Bischof Martin Roos im Roten Salon des Bischöflichen Ordinariats in Temeswar. Mit größtem Interesse hat er den Bericht zu unserer Studienreise verfolgt, die Veranstaltung der Konzerte in den verschiedenen Kirchen und die Kontakte zu katholischen Kirchengemeinden. Es nichts Alltägliches, dass eine Gruppe, bestehend meist aus ausgewanderten Banater Schwaben, ihren ehemaligen Bischof besucht und so den Kontakt zwischen den Landsleuten hier und dort aufrecht erhält.
Zum Schluss in der Fabrikstadt
Abgeschlossen wurde die Studienreise durch den Besuch der innenstädtischen Synagoge in Temeswar, die uns von der Vorsitzenden des Temeswarer Philharmonischen Vereins, Frau Sanda Razvan-Mihalcea, vorgestellt wurde. Leider befindet sich dieses ehemalige Gotteshaus in einem sehr schlechten Zustand und finanzielle Mittel für die Renovierung sind auch keine vorhanden. Trotzdem versucht man regelmäßig in den Sommermonaten kleinere Konzerte und andere kulturelle Maßnahmen darin zu organisieren. Da neustens aus dieser Straße eine Fußgängerzone gemacht wurde, ist es für die Besucher noch leichter, diese Veranstaltungen zu erreichen.
Kurz vor dem Rückflug nach München folgte noch ein Besuch der Temeswarer Fabrikstadt mit den zwei wichtigsten Sehenswürdigkeiten: die prächtige Millenniumskirche aus dem Jahre 1896 und die Bierfabrik. Somit wurde sowohl für das geistliche als auch für das körperliche Wohl gesorgt. Obzwar die Werbung auf den Bierkrügen nicht so ganz stimmte: Prinz Eugen hat in Temeswar 1718 die erste Bierfabrik auf dem „Boden Rumäniens“ gegründet… Aber man sollte es mit diesen falsch dargestellten geschichtlichen Fußnoten auf Bierkrügen nicht so ernst nehmen.
Fazit
Als Fazit dieser Studienreise könnte man sagen: wir haben noch viel zu lernen und der Kontakt zu unseren Banater Landsleuten im rumänischen, serbischen oder ungarischen Teil des Banats sollte vertieft werden. Nur so kann das Europa entstehen, an dem wir heute arbeiten. Und nur so können die Schranken in unseren Köpfen überwunden werden.